Gerichtsurteil zu Fugen im PVC gibt dem Thema eine neue Dimension
Beanstandungen und Reklamationen zu Dimensionsänderungen, das heißt das Schrumpfen oder Wachsen von Bodenbelägen und daraus resultierende Fugenbildungen oder Stippnähte, sind nicht neu. Erscheinungsbilder dieser Art sind vor allem bei elastischen Bodenbelägen wie bei PVC-Designbelägen (Bild 1), PVC-Fliesen (Bild 2), PVC-Bahnen (Bilder 3 und 4), aber seltener bei Linoleum-Bahnen (Bild 5) bekannt.
Die Argumentation der Belagsanbieter, dass zum Beispiel thermisch verschweißte PVC-Bodenbelagbahnen nur dann im Gebrauch Fugenbildungen zeigen, wenn falsch gefräst und/oder falsch thermisch verschweißt wurde, sind ebenfalls bekannt und an der Tagesordnung.
Bereits im Boden-Profi Nr. 4 (RZ, 06-07/2004) haben wir uns mit dem Thema „Warum schrumpfen PVC-Bodenbeläge“ auseinander gesetzt und über die Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte berichtet und auch über Lösungsansätze formuliert.
Neu war mit Veröffentlichung der „Erläuterungen zur DIN 18 365 – Bodenbelagarbeiten und DIN 18 299“ im Jahr 2004 die darin enthaltene klare Aussage zum Thema Weichmacherwanderung und deren Ursache (nachzulesen auf Seite 140).
Urteil vom LG Koblenz
Mit Az.: 4 HK O 123/06 verkündet das Landgericht Koblenz am 05.08.2008 ein interessantes Urteil zum Thema. In der Sache ging es darum, dass verlegte/geklebte, thermisch verschweißte PVC-Bodenbeläge Nahtkantenöffnungen und Flankenabrisse aufwiesen, die der Auftragnehmer nicht beseitigen konnte, da diese wiederholt – auch nach entsprechenden Reparaturen – wieder auftraten. In der Folge führte die Situation dazu, dass der Auftraggeber gegenüber dem Auftragnehmer eine Forderung von knapp 200.000 Euro aufstellte. Dass in diesem Fall der Kläger bzw. Auftraggeber nicht sein Ziel erreichte (die Klage wurde abgewiesen), beruht auf der Tatsache, dass der Auftragnehmer aufgrund der zwischenzeitlich vergangenen Zeit von der Gewährleistungspflicht gemäß § 13 Nr. 3 VOB/B bereits befreit war. Somit ist dieses zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Beitrages noch nicht rechtskräftige Urteil für den Auftragnehmer positiv, da auch im Rahmen einer Widerklage Restforderungen von rund 20.000 Euro vom Auftraggeber angefordert worden sind.
Dennoch sind die Entscheidungsgründe des LG Koblenz sehr bemerkenswert und für die Thematik Fugenbildung von Bedeutung. Stellt man sich die Frage: Was wäre gewesen, wenn der Auftragnehmer seiner Gewährleistungspflicht hätte nachkommen müssen? erscheint die Urteilsbegründung in neuem Licht. Zur Ursache für die Nahtkantenöffnungen und Flankenabrisse thermischer Verschweißungen heißt es hier u. a.:
„Nach den überzeugenden Ausführungen des SV steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass ein kritisches Maßänderungsverhalten der PVC-Bodenbelagqualität der Bezeichnung XYZ der ABC GmbH aufgrund eines überproportionalen Materialschrumpfs mit daraus resultierenden Eigenspannungen ursächlich für die festgestellten Rissbildungen und/oder Rissmarkierungen (Fugenflankenabrisse) in den Nahtkantenabdichtungen war. Für das Schrumpfverhalten verantwortlich sind die aus Gründen des Umweltschutzes bzw. der toxikologischen und ökotoxikologischen Bewertung bestimmter Weichmacher dann alternativ verwendeten Weichmacher der neuen Generation, die eine weniger stabile Einbettung in der polymeren Struktur des PVCs aufzeigen und daher zum Wandern neigen (Weichmacherwanderung).“
Im konkreten Fall hat die Klägerin/der Auftraggeber, einen bestimmten PVC-Bodenbelag zur Verlegung/Klebung vorgeschrieben. In der Entscheidungsbegründung des Landgerichtes Koblenz heißt es zudem, dass die Beklagte/der Auftragnehmer, hinsichtlich der Eignung dieses Belages keine Prüfungs- oder Hinweispflicht verletzt hat.
Die Verpflichtung des Auftragnehmers aus § 4 Nr. 3 VOB/B geht von dem Grundsatz aus, dass der Auftragnehmer nach Treu und Glauben verpflichtet ist, den Auftraggeber nach Möglichkeit vor Schäden zu bewahren.
Daraus folgt, dass er in jedem Fall bereits vorhandene Bedenken gegen die vorgesehene Art der Ausführung oder vorgegebenes Material vorbringen muss.
Schlussendlich kommt das LG Koblenz zu folgender Erkenntnis: „Im Zeitpunkt der Durchführung der Arbeiten (2002/2003) war das Wissen um die Problematik der Weichmacherwanderung nach den Ausführungen des SV für einen Handwerker noch nicht Stand der Technik. Nach den Darlegungen des SV ist davon auszugehen, dass die Problematik in den Fachkreisen, d. h. unter den SV sowie den Herstellern der Bodenbeläge und Kleber, in den Jahren 2002 bis 2004 diskutiert wurde und die entsprechenden Untersuchungen angestellt wurden. Erst durch die Veröffentlichung einer im Jahr 2004 aufgelegten Kommentierung zur DIN 18 299 und DIN 18 365 und Publikationen in den Jahren 2005/2006 ist das Phänomen bekannter geworden. Die VOB hat diesem Umstand bis heute nicht Rechnung getragen.“
Bedeutung für den Bodenleger
Zunächst ist wichtig voranzustellen, dass im Fall des LG Koblenz die VOB/B wirksam vereinbart war. Im Urteil wurde herausgearbeitet, dass der einbauende Bodenleger für die von ihm produzierten Mängel ausnahmsweise dann nicht einstehen muss, wenn
a) der Mangel auf den Einbau des vom Besteller vorgeschriebenen Materials zurückzuführen ist und zusätzlich
b) der Unternehmer die ihm als Fachmann obliegende Prüfungs- und Hinweispflicht beachtet hat.
Während der Punkt a (vorgeschriebenes Material) im Rahmen eines Verfahrens durch Zeugen und zusätzliche SV bewiesen werden kann, erscheint zu Punkt b (keine Verletzung von Hinweispflichten) „die Frist abgelaufen zu sein“, wobei in diesem Fall die ausnahmsweise Befreiung des Bodenlegers von seiner Gewährleistung in Betracht zu ziehen war.
Ab 2004 anderes Urteil
Besonders wichtig ist, dass sich das LG Koblenz in diesem Fall darüber ausgelassen hat, welche Hinweispflichten in den Jahren 2002/2003 bestanden und gleichsam darauf aufmerksam macht, dass durch die Veröffentlichung einer im Jahr 2004 aufgelegten Kommentierung zur DIN 18 299 und DIN 18 365 und Publikationen in den Jahren 2005/2006 das Phänomen bekannter geworden ist.
Sinngemäß bedeutet dies also: Wäre der Einbau des PVC-Bodenbelages im Jahr 2004 oder später erfolgt, wäre die Klage begründet gewesen und die Widerklage im Hinblick auf die Restforderungen unbegründet.
Prüfungs- und Hinweispflicht
In der Urteilsbegründung (Az.: 4 HK.O 123/06) heißt es, dass die Prüfungspflicht des Auftragnehmers durch die Erkennbarkeit aufgrund der eigenen Fachkunde beschränkt ist. Der Auftragnehmer schuldet nur das nach dem neuesten Stand der Technik entsprechende Normalwissen.
Ist das zu verwendende Material eindeutig vorgeschrieben und entspricht die geforderte Ausführung dem anerkannten Stand der Technik, besteht für den Auftragnehmer keine Verpflichtung aus § 4 Nr. 3 VOB/B, da diese eine über den Rahmen des § 242 BGB hinausgehende Überspannung der Anforderungen bedeuten würde.
Bei vorgeschriebenem Baumaterial ist der Unternehmer in der Regel nicht verpflichtet, eigene technische Versuche oder aufwändige Materialprüfungen vorzunehmen.
Fazit
Will sich also der Auftragnehmer für Bodenbelagsarbeiten insgesamt zum Thema Fugenbildungen, letztlich Schrumpf bei elastischen und auch textilen Bodenbelägen vor möglichem Schaden innerhalb der Gewährleistungsfrist absichern, bleibt nur die uneingeschränkte, nachweisbare Aufklärung gegenüber dem Auftraggeber/Besteller.
Dem Auftraggeber/Besteller muss bekannt gemacht werden, dass elastische und auch textile Bodenbeläge im Zuge des Gebrauchs Dimensionsänderungen erfahren können, d. h. schrumpfen oder wachsen, und dass diese Maßänderungen auch im fachgerecht geklebten Zustand nicht auszuschließen sind. Hieraus resultieren einerseits Fugenbildungen entlang thermisch verschweißter oder thermisch verfugter Nähte elastischer Bodenbeläge und andererseits Spitznähte, wenn die Dimensionsänderung sich zum Beispiel durch Wachsen oder Quellen deutlich macht.
Mit diesem Urteil wird aber nicht nur der Bodenleger in die (Hinweis)Pflicht genommen, sondern auch die Bodenbelagsindustrie verpflichtet, diesem Thema mehr Beachtung zu schenken.