Sind Fugen immer Wartungsfugen?

Die Fuge gehört zum elastischen Bodenbelag wie die Naht zur Tapete: Wenn einzelne Bahnen oder beim Boden immer öfter auch Fliesen und Planken nebeneinander gelegt werden, entsteht zwischen den Kanten zwangsläufig eine Fuge – im Idealfall dicht geschlossen. Während man bei Tapeten offene Nähte optisch retuschiert, indem man den Untergrund vor dem Tapezieren in der Grundfarbe der Tapete streicht, hat man sich beim Bodenbelag frühzeitig etwas anderes einfallen lassen. Denn materialbedingt waren und sind Maßänderungen elastischer Bodenbeläge nicht gänzlich zu vermeiden, sodass sich auch eine beim Verlegen und Kleben dicht gestoßene Naht nach einer gewissen Zeit öffnen kann. Dieses Problem erkannten frühzeitig die PVC-Hersteller und fingen an, die Nähte der Bahnen und Fliesen zu verschweißen. Später zogen die Linoleumanbieter mit einer ähnlichen Technik nach, vor allem, weil in Ausschreibungen der „Nahtschluss“ bei elastischen Bodenbelägen grundsätzlich gefordert wurde – unabhängig vom eingesetzten Material.

In der Praxis sieht es nun gelegentlich so aus, dass sich auch „verschweißte“ Fugen wieder öffnen: Mal mehr, mal weniger – mal früher, mal später und zum Glück eben oft auch gar nicht. Wer anderen Gewerken über die Schulter schaut, zum Beispiel dem Fliesenleger, der weiß, dass das Fugenproblem auch dort eine Rolle spielt. So wird beispielsweise die Boden-Wand-Anschlussfuge im Sanitärbereich durch Bewegung der Bauteile Wand und Boden fortlaufend gedehnt oder gestaucht. Da das Fugenmaterial dieser Bewegung im Regelfall nicht dauerhaft standhalten kann, muss die Fuge regelmäßig überprüft und erneuert also gewartet werden. Der Fliesenleger spricht dann von einer sogenannten Wartungsfuge, die in der DIN 52 460 „Fugen- und Glasabdichtungen“ definiert ist (siehe „Wissenswertes“).

Über die Jahre hat sich der Begriff der Wartungsfuge auch im Bodenleger-Sprachgebrauch etabliert und es bereits in den jüngsten Kommentar zur DIN 18 365 Bodenbelagarbeiten geschafft. Unter 4.2.15 „Verschweißen und Verfugen von elastischen Bodenbelägen“ heißt es unter anderem: „Dimensionsänderungen des Bodenbelags können durch Verschweißen/Verfugen nicht grundsätzlich verhindert werden. Trotz einwandfreier Materialien und deren sach- und fachgerechter Verarbeitung sind Schweißnähte und Nahtabdichtungen infolge vielfältiger Einwirkungen im Gebrauch nicht zwangsläufig dauerhaft dicht. Sie müssen beobachtet und ggf. im Rahmen der Wartung nachgearbeitet werden.“

Nähte müssen halten

Immer öfter wird genau diese Textpassage argumentativ dafür genutzt, einen Gewährleistungsmangel anzuzeigen: Man argumentiert, dass verschweißte oder verfugte Nähte elastischer Bodenbeläge nicht zwangsläufig dauerhaft sind und als Wartungsfuge nachgearbeitet werden müssen. Diese Annahme ist vom Grundsatz her falsch! Die Verlegung einer elastischen Bodenbelagsfläche muss einschließlich des Nahtschlusses für den vorgesehenen Verwendungszweck uneingeschränkt funktionsfähig sein und die vereinbarte Gewährleistungszeit schadensfrei überstehen. Im Regelfall tut sie das auch – wenn korrekt gearbeitet und einwandfreies Material verwendet wurde.
Treten also während der Gewährleistungszeit Schäden an den Nähten auf, fallen sie in den Verantwortungsbereich des Auftragnehmers für Bodenbelagarbeiten; treten die Schäden erst später auf, trägt der Auftraggeber die Kosten.

Häufiger Streitpunkt sind aber auch Fugenabrisse aufgrund des Rückschüsselungsverhaltens eines Estrichs in seinem Trocknungsverlauf. Das Argument des Bodenlegers „dafür nichts zu können“ stimmt zwar, entbindet ihn aber nicht aus der Haftung: Kann er ein mögliches Rückschüsseln vor Beginn seiner Arbeiten im Rahmen seiner Prüfpflichten erkennen, muss er Bedenken anmelden; tut er es nicht, muss seine Randfuge eben auch die vereinbarte Gewährleistungszeit überstehen.

Anders sieht es aus, wenn sich ein Estrich nach Nutzungsaufnahme absenkt. Beispielsweise weil durch eine hohe Belastung die Dämmschicht einer schwimmenden Estrichkonstruktion komprimiert wurde. In solchen Fällen trifft den Bodenleger keine Verantwortung, aufgerissene Randfugen im Rahmen der Gewährleistung nachzubessern.

1. Boden-Wand-Anschlussfuge
Insbesondere im Sanitärbereich ein gewohntes Bild: Die aufgerissene elastische Verfugung zwischen Wand- und Bodenfliese.

2. Bewegungsfuge
Fugen, die zwischen Gebäude- oder Flächenteilen konstruktionsbedingt Bewegungen zulassen müssen, sind in die Bodenbelagsfläche zu übernehmen und mit einem speziellen Profil zu überdecken.

3. Nahtöffnung
Durch Dimensionsveränderung des Belags oder eine nicht fachgerecht ausgeführte Verschweißung kann sich die Naht öffnen.

4. Flickwerk
Hier hilft auch keine Wartung: Die Naht wurde unsauber geschnitten und versucht mit Schweißdraht zu verschließen.

Wissenswertes

In der DIN 52 460 “Fugen- und Glasabdichtungen“ wird die Wartungsfuge wie folgt definiert: „Die Wartungsfuge ist eine starken chemischen und/oder physikalischen Einflüssen ausgesetzte Fuge, deren Dichtstoff in regelmäßigen Zeitabständen überprüft und gegebenenfalls erneuert werden muss, um Folgeschäden zu vermeiden.“

In der ÖNORM B 2207 „Fliesen-, Platten- und Mosaiklegearbeiten“, wird unter Absatz 5.3.3.3.2 wie folgt definiert: „Elastische Verfugungen sind aufgrund ihrer stofflichen Eigenschaften als Wartungsfuge anzusehen und gelten daher nicht als Abdichtung. Ihre Funktion muss in regelmäßigen Abständen überprüft und das Material gegebenenfalls erneuert werden um Folgeschäden zu vermeiden. Sie sind also wartungsbedürftig und haben Belastungsgrenzen. Es gibt Einsatzgebiete, bei denen es trotz der Verwendung bestgeeigneter Materialien und sorgfältiger Ausführung zu einer Überlastung und damit Schädigung der Fugen kommen kann.“

Fazit

Der Nahtschluss und alle anderen Fugen bei der Verlegung elastischer Bodenbeläge müssen – wenn nichts anderes vereinbart wurde – die gleiche Gewährleistungszeit ohne Schaden überstehen wie der Rest der Fläche. „Es sollte ausdrücklich vertraglich vereinbart werden, welche Fugen Wartungsfugen sind“, erklärt Rechtsanwalt Martin Kuschel. „Mit der Vereinbarung wird definiert, dass eine Fuge einer besonderen Wartung bedarf. Diese Wartung obliegt grundsätzlich dem Auftraggeber, der bei Bedarf einen entsprechenden Wartungsvertrag abschließen kann, mit dem er die Verpflichtung zur regelmäßigen Wartung – in der Regel entgeltlich – auf einen Unternehmer überträgt.“ Allerdings: „Auch eine ausdrücklich als Wartungsfuge vereinbarte Fuge muss fachgerecht ausgeführt worden sein. Muss diese Fuge nur deswegen häufiger erneuert werden, weil sie nicht fachgerecht ausgeführt worden ist, ist sie mangelhaft und dem Auftraggeber stehen wegen dieses Mangels auch Mangelansprüche zu“, so Martin Kuschel.