Sauber Teppichboden-Nähte erfordern zuweilen Improvisationstalent
Die Naht ist und bleibt die hohe Kunst des Bodenlegens und ist – egal bei welcher Belagsart – oft die Visitenkarte des Verlegers. Wer viel und mit ausreichend Personal elastische und textile Bodenbeläge verlegt, stellt häufig einen ausgewiesenen Spezialisten für diese finale Arbeit ab. Oft ist es nur einer in jeder „Kolonne“, der den perfekten Schnitt beherrscht, der Fugen richtig fräst oder den Schmelzdraht bündig abstoßen kann.
Dass mit dem Aussehen einer Naht der Gesamteindruck einer Bodenbelagsverlegung steht oder fällt, mussten schon viele Bodenleger erfahren. Gelegentlich sind es einfach nur geringe Farbabweichungen, die erst nach Abschluss der Arbeiten ins Auge fallen, dann aber das flächige Erscheinungsbild stören. Oder ungünstige Lichtverhältnisse, die auch nur kleinste Ausfransungen an den Nahtkanten textiler Beläge unvorteilhaft betonen. Die Möglichkeiten der Nachbesserung sind begrenzt und erfordern eine hohe fachliche Qualifizierung. Allerdings: Unversucht sollte man es nicht lassen, seine Kunden auch in solch „schwierigen“ Fällen zufriedenzustellen.
Der Fall
In der Verwaltung eines Unternehmens wurden Bahnen eines vier Meter breiten gewebten Teppichbodens verlegt. Der Auftraggeber bemängelte das Erscheinungsbild der Nähte aneinandergrenzender Bahnen: Die zweifarbige Ripsware zeige Ausfransungen und Farbunterschiede, so der Kunde des Bodenlegers. Zur Klärung des Sachverhalts beauftragte er ein Gutachten.
Die in einem – zum Zeitpunkt des Ortstermins weitestgehend unmöblierten – Konferenzraum verlegte Webware zeigte im Nahtbereich Irritationen. Aus gebrauchsüblicher Betrachtungsposition erschien die Naht mal mehr oder weniger hell betont. Sowohl bei Mit- als auch bei Gegenlicht-Betrachtung konnte ein marginaler Farbunterschied nebeneinander liegender Bahnen festgestellt werden (Bild 1).
Erst bei näherer Betrachtung war deutlich zu erkennen, dass die Sichtbarkeit der Naht aneinander grenzender Teppichbodenbahnen durch ausgefranstes, zum Teil büschel- oder pinselartig hochstehendes Polfasermaterial hervorgehoben wird (Bilder 2 und 3).
Die Ursache
Dieses Erscheinungsbild ist darin begründet, dass beim erforderlichen Beschneiden der Bahnenränder, die jeweils schnittkantenangrenzende Polschlingenreihe streckenweise angeschnitten wurde. Auf diese Weise auf- oder angeschnittene Schlingen, stehen nunmehr veloursartig beziehungsweise wie beschrieben büschel- oder pinselartig hoch (Bilder 2 und 3).
In diesen Bereichen wird das auftreffende Licht spiegelartig reflektiert, so dass sich dann streckenweise wie auf Bild 1 erkennbar, der Nahtverlauf optisch „hell“ hervorhebt.
Die Lösung
Die Feststellung von Ursache und Wirkung führt zwangsläufig zur Frage nach der Lösung des Problems. Um diese gewissenhaft zu beantworten und objekt- sowie materialspezifisch die richtige Vorgehensweise darzulegen, bedarf es einer Versuchsfläche. Mit Zustimmung des Nutzers wurden also Nacharbeiten an einer Naht ausgeführt. Erfahrungsgemäß verlangen insbesondere flachgewebte Ripswaren eine penible Nahtbearbeitung, da die geringe Flor- beziehungsweise Polhöhe selbst kleinste Unregelmäßigkeiten nicht „kaschieren“ kann.
Zuerst wurde entlang der Naht geprüft, ob neben den bereits sichtbaren, noch weitere lose Fasern vorliegen. Sodann wurden diese aufgerichtet und mit den anderen büschel- und pinselartig hochstehenden Fasern mit einer Florschere abgeschnitten (Bilder 4 und 5).
Die eigentliche Kunst des Nahtschlusses besteht nun darin, die teilweise angeschnittenen, schnittkantenangrenzenden Polschlingenreihen vor weiterem „Ausfransen“ zu schützen. Da im verklebten Zustand der Einsatz von Nahtverfestigern nicht immer ganz unproblematisch ist, wurde eine Methode des Verschweißens angewendet.
Hierzu wird ein spezielles Jet-Flame-Feuerzeug verwendet. Das gasbetriebene Feuerzeug verfügt über eine regulierbare Glutstärke, die es erlaubt, punktgenau eine extrem heiße und spitze Flamme strahlenförmig auf Gegenstände zu richten.
Mit Hilfe dieser Flamme wurden die angeschnittenen Polschlingenreihen so verschmolzen, dass einerseits ein weiteres „Ausfransen“ verhindert wird, aber andererseits keine Verbrennungen oder Glanzstellen entstehen (Bild 6). Diese Arbeit verlangt viel Fingerspitzengefühl und sollte immer an einem Rückstellmuster oder in einem nicht einsehbaren Bereich getestet werden.
Um sicher zu gehen, dass alle losen Fasern wieder festeingebunden sind und um etwaige Unregelmäßigkeiten, die das optische Erscheinungsbild beeinträchtigen könnten zu neutralisieren, muss die gesamte Naht mit einer harten Perlonbürste nachgearbeitet werden (Bild 7).
Erst nach diesem intensiven Bürsten ist sichergestellt, dass auch bei normalem Gebrauch und späteren Reinigungsmaßnahmen – beispielsweise durch Bürstsaugen – kein weiteres Schlingenpolmaterial mehr ausfasert.
Weiterhin sorgt das Bürsten dafür, den sichtbaren Übergang aneinandergrenzender Teppichbodenbahnen anzugleichen. In der Folge fallen geringfüge Farbunterschiede optisch weniger deutlich ins Blickfeld des Betrachters (Bild 8).
Was sagt die Norm?
Im Standardwerk „Kommentar und Erläuterungen VOB DIN 18365 – Bodenbelagarbeiten“ (Kaulen/Strehle/Kille) steht unter Punkt 3.4.9 „Textile Bodenbeläge in Bahnen sind, soweit dafür geeignet, an den Kanten zu schneiden und stumpf zu stoßen“ u. a. Folgendes:
- Beim Aneinanderlegen von nebeneinander liegenden Bodenbelagbahnen ist zunächst zu prüfen, ob und wie die Belagkanten zu schneiden sind. Dabei sind die Arbeitsanweisungen der Herstellerwerke zu befolgen.
- Eine saubere Schnittkante entsteht, wenn der Teppichboden in der Florgasse geschnitten werden kann. Während Velours- und Schlingenteppichböden mit Spezialrücken oder textilem Rücken von der Florseite beschnitten werden, kann das bei durchgewebten und latexierten Belägen sowie hochflorigen Velours von der Unterseite erfolgen.
- Bei gewebten Teppichböden sind, um beim Transport Kantendeformierungen zu vermeiden, an beiden Seiten Schutzkanten vorhanden, die vor der Verlegung in der Noppengasse abgeschnitten werden müssen. Die Kanten dürfen keinesfalls überlappt geschnitten werden.
Fazit
Wie schon in der „Boden-Profi“-Folge 80 im Mai 2011 beschrieben, müssen Nahtkanten von Teppichböden vor dem „Ausfransen“ geschützt werden. Dies geschieht entweder durch eine einwandfreie Verlegetechnik oder durch den Einsatz von sogenannten Schnittkantenverfestigern. Seitens des Bodenbelagherstellers kann unter Umständen der Einsatz solcher zusätzlichen Maßnahmen verbindlich vorgegeben werden. Werden dennoch lose Fasern nach der Verlegung vorgefunden, können diese unter anderem auf die beschriebene Art und Weise wieder „verfestigt“ werden.
Die Erfahrung zeigt, dass bestimmte Kombinationen aus Materialeinsatz und Herstellungstechnik stärker zu „Ausfransungen“ neigen als andere, beziehungsweise die Verarbeitung solcher Teppichbodenqualitäten aufwendiger ist. Dieser erhöhte Aufwand ist gegebenenfalls zu kalkulieren und zusätzlich zu den Verlegearbeiten einzuplanen.