Kunststoffe am Bau – Ausweg oder Sackgasse?

Nachfolgend finden Sie das Konzept zum Vortrag des ö.b.v. und Berufssachverständigen Richard A. Kille:

Der Vortrag wurde am Dienstag, dem 22. April 1997 anlässlich des Diskussionsabends im Deutschen Architektur Zentrum, Taut-Saal, D-10179 Berlin (Mitte) gehalten.

Unter anderem erfolgten in den Fachzeitschriften „Objekt“ und „boden wand decke“ Veröffentlichungen, die jedoch nicht das komplette Vortragsthema wiedergeben, sodass nachfolgend auf das vollständige Vortragskonzept hingewiesen wird.

Leitfaden/Vortragskonzept

zum Thema

Polyolefine-Beläge – eine Lösung ?

Mit der Anfrage nach einem Termin für den heutigen Abend im Hause des IFR Köln mit der Bitte, dass ich im Rahmen dieses Vortrages zum Thema Polyolefine-Beläge – eine Lösung? habe ich mich zuerst gefragt, welchen Mut bringen die verantwortlichen Akteure des Diskussionsabends auf, einen unabhängigen Berufssachverständigen sprechen zu lassen, der bekannterweise seine Existenz durch Komplikationen in der Fußbodentechnik letztlich durch Fußbodenschäden gesichert sieht.

So werden Sie vielleicht erwarten, dass ich in plakativer Weise nun über Fußbodenschäden in Verbindung mit Polyolefine-Belägen berichte.

Nun sind wir schon beim Thema, denn es wäre kein Beitrag, die Frage zu klären, ob Polyolefine-Beläge eine Lösung darstellen oder nicht, denn seit 1974 beobachte ich die Bodenbelagwirtschaft und so auch die Entwicklung der Bodenbelagprodukte.

Jede noch so gute Neuentwicklung und Modifikation von textilen und elastischen Bodenbelägen hat Pro und Kontra erfahren, wurde kontrovers diskutiert und nicht selten, das wissen wir alle, je nach Macht der Interessenslage bestätigt oder verrissen.

Wir erinnern uns daran, dass in großen Lettern der Tageszeitungen zum Teil genauso einseitig negativ über Teppichboden und Emissionen berichtet wurde wie auch nach der Düsseldorfer Brandkatastrophe der Kunststoff Polyvinylchlorid für die „Sensationshascherei“ missbraucht wurde.

In Abhängigkeit der Interessenslage finden wir bei allen Bodenbelagarten hinsichtlich der Inhaltsstoffe Emissionen bei der Anwendungstechnik oder dem Gebrauch Schreckensmeldungen und hier sind Holzwerkstoffe, d.h. Parkettböden ebenso wenig ausgeschlossen wie Laminatfußböden, Gummibodenbeläge, Linoleum etc.

Ein Sachverständiger muss lernen, diese Meldungen „leidenschaftslos zur Kenntnis zu nehmen“ und die Informationen auszuwerten, um sich ein eigenes Bild zu schaffen.

Gemäß dem derzeitigen Stand der Kenntnis ist eindeutig festzustellen, dass von Polyolefine-Belägen keine Prüfungsergebnisse und infolgedessen Meldungen bekannt sind, die darauf hinweisen, dass störende oder schädliche Emissionen von dieser Bodenbelagart ausgehen.

Trotzdem wird auch hier die Interessenslage sehr bald dazu führen, dass die Suche von Nachteilen der Polyolefine-Beläge fortschreitet und z.B. die berechtigte Frage gestellt wird:

Welche Auswirkungen und Eigenschaften hat die Schutzbeschichtung von Polyolefine-Belägen, sofern sie vorhanden ist, in Herstellung und Gebrauch?

Als Antwort auf die Frage „Polyolefine-Beläge – eine Lösung? darf der Hinweis gegeben werden, dass es nicht „… die Lösung“ ist, indem andere Bodenbeläge aus Polyvinylchlorid, Kautschuk, Linoleum etc. verunglimpft werden, denn es ist unbestritten:

sogenannte Nachteile verbergen auch Vorteile
oder
sogenannte Vorteile verbergen auch Nachteile.

„Die Lösung“ ist die Ausgewogenheit des Produktes in Art und Eigenschaft, so dass eindeutig Polyolefine-Beläge heute nicht mehr wegzudenken sind.

Polyolefine-Beläge – eine Lösung?

Beschränken wir, der Einfachheit halber, diese Frage auf die Gruppe der Nutzer (Bauherren, Investoren, etc.) und auf die Gruppe der Anwender (die bodenlegende Handwerks- und Gewerbezweige).

Gruppe der Nutzer (Bauherren, Investoren, etc.)

Materialien/Baustoffe für die Innenraumausstattung sind im Zeitalter der interkontinentalen Vernetzung in einer Vielfalt und Auswahl erhältlich, die im Detail nahezu grenzenlos ist.

Die Informationsquellen der Nutzer prägen oder wirken mindestens beeinflussend bei der Meinungsbildung und letztlich bei der Entscheidung nach der Wahl eines bestimmten Baustoffes mit.

Ob Sie nun die Fachliteratur heranziehen oder die allgemein für den Nutzer erreichbare Literatur, Sie werden über Polyolefine-Beläge „empfehlende“ Ausführungen lesen.
Mehr denn je sind Verbraucher-Informationen im Umlauf. Hier nur zwei Beispiele:

1. aus dem Buch „Schadstoffe in der Wohnraumluft; Gesundheitsgefahren erkennen, beseitigen und vermeiden“ der Verbraucherzentrale NRW

Hier heißt es unter der Rubrik „Kunststoffboden“ auf Seite 143 u.a. wie folgt:

„…
Eine Kunststoff-Alternative können Polyolefine-Böden darstellen. Sie werden aus z.B. Polypropylen, Pigmenten und mineralischen Füllstoffen hergestellt und geben nur sehr geringe Konzentrationen flüchtiger Verbindungen ab. Polyolefine-Böden können trotz minimaler Emissionen grundsätzlich empfohlen werden
….“

2. aus der Informationsschrift „Vernagelt, angeschmiert, bekloppt, Glatte Bodenbeläge für Innenräume“ des Bundesverbandes „Die Verbraucherinitiative“ e.V. Bonn

Unter dem Begriff „Polyolefine (chlorfreie Kunststoffbeläge)“ ist u.a. Folgendes nachzulesen:

„…
Polyolefine sind für alle Wohnbereiche geeignet. Ihre Nutzungseigenschaften sind bei einfacher Reinigung, hoher Strapazierfähigkeit und der Vielfältigkeit des Designs gut; sie sind beständig gegen Hitze, Licht und Nässe. Sind Fliesen fürs Bad zu teuer, stellt dieser Belag eine gute Alternative dar.

Die gesundheitliche Belastung während der Nutzungsphase wird als gering eingeschätzt, da das Material zwar in sehr geringen Mengen flüchtige organische Verbindungen abgibt, deutlich messbare Emissionen jedoch nicht bekannt sind.

Es gibt Produkte, bei denen umweltneutrale Pigmente benutzt werden.
….“

Als Berufssachverständiger ist für mich somit die Frage, ob Polyolefine-Beläge – eine Lösung darstellen, geklärt.

Aus der Vielzahl der Auswahlmöglichkeiten wird sich der Interessent für einen Bodenbelag in Abhängigkeit seiner Möglichkeiten, die sicher auch finanzielle und technische Gesichtspunkte berücksichtigen, das Produkt wählen, das seinen individuellen Wünschen gerecht wird.

Dass ein Polyolefine-Belag bei entsprechend hoch entwickeltem Produkt-Know-how nicht selten und bei gleichbleibender Entwicklung der momentanen Meinungsbildung häufig und ggf. zunehmend dieses individuelle Anforderungsprofil erfüllt, ist nicht mehr wegzudiskutieren und steht somit als alternative Lösung zur Verfügung.

Die Meinungsbildung für den Einsatz von Polyolefine-Bodenbelägen wird in einer nennenswerte Größe von den Anwendern, d.h. dem bodenlegenden Handwerks- und Gewerbezweigen geprägt.

Gruppe der Anwender
(die bodenlegende Handwerks- und Gewerbezweige)

Mit Beginn des Jahres 1990 wurde der Polyolefine-Belag in erkennbarer Größenordnung im Markt eingeführt. Aus meiner Sicht wurde bereits im Anfangsstadium lückenhaft über Art und Eigenschaft des Polyolefine-Belages berichtet.

Zum Vergleich:
Eine meiner Unterlagen aus Januar 1990 zeigt auf dem Deckblatt folgende Aussage:

„…
– nur geringer Unterschied bei der Verarbeitung im Vergleich zu homogenen ………… PVC-Belägen.“

Die ständigen Vergleiche des Polyolefine-Belages mit PVC-Bodenbelägen führten z.B. dazu, dass auf Gutachterterminen im Rahmen gerichtlicher Beweissicherungen einerseits der Anwender, d.h. der Bodenleger die Aussage getroffen hat: „Hier ist ein PVC-Bodenbelag, Typ …… verlegt“ und andererseits der Nutzer hinsichtlich seiner Erfahrungen und der Vergleiche der letzten 20 Jahre mit PVC-Bodenbelägen aussagt: „Der neue PVC-Bodenbelag verhält sich ganz anders als der PVC-Boden, der 20 Jahre hier gelegen hat. …“

Diese manchmal folgenschwere Verwechslung wurde unterstützt durch die Tatsache, dass mit Polyolefine-Belägen zweifelsohne Optiken erzielt werden, wie sie bei PVC-Bodenbelägen seit Jahrzehnten bekannt sind, und das Bestreben besteht, Muster und Designs herzustellen, die optisch bei PVC-Design-Belägen, Linoleum-Belägen, Gummiboden-Belägen, CV-Boden-belägen etc. angelegt sind.

Dass von der Anwenderseite qualitativ hochwertige Leistungen in der Bodenwirtschaft erbracht werden, ist ebenso unbestritten wie wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass Produktbeschreibungen und Hinweise, Anwendungsempfehlungen und Verlegeanleitungen, je umfangreicher und komplizierter sie geschrieben sind, nicht vollständige Beachtung finden, zumal ja auch die Aussage besteht bzw. bestand: „… nur geringe Unterschiede bei der Verarbeitung im Vergleich zu homogenen ……..PVC-Belägen.“

Diese folgenschwere Einstellung muss zwangsläufig dazu führen, dass im Zuge der Verlegung/Klebung von Polyolefine-Belägen, die nachgewiesen auf Temperatur und Feuchtigkeit deutlich unterschiedlich reagieren, Schäden auftreten und diese sich eben in Form von Beulenbildungen, Stippnähten etc. zeigen.

So wird über Fußbodenschäden und Komplikationen mit der Bodenbelaggattung „Polyolefine-Beläge“ berichtet, die sehr häufig die große Anzahl der Fußbodenflächen aus Polyolefine-Bodenbeläge vergessen lassen, die ohne Komplikationen liegen und benutzt werden.

Im IFR Köln sehen wir sachverständigenseits diese Situation nicht dramatisch, sondern eher erwartungsgemäß und nicht neu.

Hier darf nur einmal an den textilen Bodenbelag mit füllstofffreier Rückenausstattung erinnert werden, der ebenso in althergebrachter Weise, wie seit Jahrzehnten bekannt, von dem einen oder anderen Anwender geklebt wurde und „plötzlich, überraschend und völlig unerwartet“ Beulen-/ Blasenbildungen zeigte.

Aus dieser Erfahrung resultiert die Erkenntnis, dass bei der Entwicklung und Produktion von Bodenbelag-Konstruktionen nach dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik die „Lücke“ zur Praxisbewährtheit nicht immer geschlossen ist und nicht selten diese Zug um Zug „auf dem Rücken der Anwender“ gefüllt wird.

Zudem wird die Anwendungsfreundlichkeit eines Polyolefine-Belages davon beeinflusst, dass die Klebstoffindustrie einerseits die Gelegenheit bekommt, in die Eigenschaften und Geheimnisse der Polyolefine-Beläge „eingeweiht zu werden“ und andererseits in der Lage ist, diese ernst zu nehmende Bodenbelaggattung durch funktionsfähige, eben anwenderfreundliche Klebstoffe zu ergänzen.

Ist die Informationskette

Bodenbelag-Hersteller >> Klebstoff-Hersteller >> Anwender

lückenlos geschlossen, ist dieses „TEAM“ vor Überraschungen geschützt.

Die Beispiele aus der Vergangenheit zeigen auf, dass die zuvor geschilderte Situation kein „Wunschdenken“ darstellt. Dennoch ist die Funktion und Sicherheit des dargelegten Systems noch nicht gesichert, denn die unbestritten zunehmend schnellere Bauweise und die entsprechend der ökologischen Entwicklung immer größer werdende Einsatzmenge des „Lösungsmittels“ Wasser am/im Gebäude setzt eine vernünftige Bauzeitenplanung voraus, die durchaus auch eine künstliche Neubau-Austrockung beinhalten kann, um überhaupt die Bedingungen zu schaffen, die einen Innenausbau des Gebäudes unter Anwendung ökologischer Produkte zulassen.

Hier sind Sie als Architekten und Planer aufgefordert, daran mitzuwirken, auch den Bauherrn als Auftraggeber über die nur begrenzt beeinflussbaren physikalischen Gegebenheiten der Baustoffe und dem daraus resultieren – den Zeitbedarf aufzuklären.

Derzeit ist die Entwicklung in der Gebäudesanierung, aber insbesondere bei der Neubauerstellung gegenläufig, d.h. bei immer größer werdender Einsatzmenge des „Lösungsmittels“ Wasser erfahren wir immer kürzere Bauzeiten, obwohl das „Lösungsmittel“ Wasser nur „langsam/schwer flüchtig“ ist.

Das Ziel muss es sein, hierüber Einigkeit zu finden, so dass in der Folge der Bedarf der Bauherrn/Nutzer nach ökologischen Bauprodukten hinsichtlich eines Fußbodenbelages der Polyolefine-Belag eine Lösung darstellt.

Baunutzungskosten

In meinen Ausführungen habe ich bereits zuvor auf das „Verwechslungsgeschehen“ zwischen Polyolefine-Bodenbelägen und Polyvinylchlorid-Bodenbelägen hingewiesen wie auch auf die Verwechselbarkeit der Optik zu Kautschuk-, Linoleum-, CV- und weiteren Bodenbelagarten.

Nicht selten finden unterschiedliche Bodenbelagarten innerhalb eines Objektes Anwendung. So ist sachverständigenseits bekannt, dass Steinbodenpflegemittel direkt auch bei Linoleum-Belägen Einsatz finden und die altbewährte Schmierseife ebenso auch für Polyolefine-Bodenbeläge eingesetzt wurde.

Für alle ist nachvollziehbar, dass das eine Reinigungs- und Pflegemittel für den Bodenbelag nicht gleichzeitig auch gut sein muss für den anderen Bodenbelag – so folgt die Quittung auf dem Fuße, denn schnell wird festgestellt, dass sich Polyolefine-Bodenbeläge „…. schlecht reinigen lassen und ohnehin empfindlich sind“.

Hier zeigen sich wieder Informationslücken auf, die durchaus noch geschlossen werden müssen, wobei eine Studie des FIGR Forschungs- und Prüfinstituts für Gebäudereinigungstechnik GmbH aus August 1996 mit dem Titel „Untersuchungsbericht; Baunutzungskosten von Fußbodenbelägen“ den Reinigungsaufwand von Polyolefine-Bodenbelägen transparent dargelegt und begründet mit z.B. Elastomer-, Linoleum- und homogenen sowie heterogenen Polyvinylchlorid-Belägen gleichstellt.

In diesem Untersuchungsbericht wird die „technische Lebensdauer“ von homogenen Polyvinylchlorid-Belägen bei hoher Frequentierung mit 20 Jahren, bei mittlerer Frequentierung mit 30 Jahren, bei geringer Frequentierung mit 40 Jahren angegeben, während die „technische Lebensdauer“ für Polyolefine-Beläge bei hoher Frequentierung mit 15 Jahren, bei mittlerer Frequentierung mit 20 Jahren und geringer Frequentierung mit 25 Jahren mit der Anmerkung „geschätzt; neuer Belag, bei dem noch keine Erfahrungswerte vorliegen“ definiert wird.

technische Lebensdauer

  Polyvinylchlorid Polyolefine
bei hoher Frequentierung 20 Jahre 15 Jahre
bei mittlerer Frequentierung 30 Jahre 20 Jahre
bei geringer Frequentierung 40 Jahre 25 Jahre
Abschlusswort

Wir werden unsere Erfahrungen sammeln. Ob es überwiegend gute oder schlechte Erfahrungen sind, hängt von den Verantwortlichen und Beauftragten der Institutionen ab, die ich in meinem Vortrag erwähnt habe und von der Weise, wie sie miteinander umgehen, Verständigung entwickeln und sich ein umfassendes Bild verschaffen.

Das diese Aufgabe, wie vergleichsweise auch andere, nicht einfach ist, zeigt sich bereits durch die Situation bei der Suche nach der Wirklichkeit.
Gestatten Sie mit dem Abschlusswort einen philosophischen Ausflug.

Plato hat die Situation, in der wir uns der Außenwelt gegenüber befinden, schon im 4. Jh. v.C. durchschaut und in einem berühmten Gleichnis beschrieben.

Die Situation der Menschen, so stellt er fest, gleiche der von Gefangenen, die in einer Höhle mit dem Rücken zum Eingang angekettet seien. Von alledem, was sich vor der Höhle abspiele, bekämen sie nur die Schatten zu Gesicht, die von dem Höhleneingang auf die ihnen gegenüber liegende Wand geworfen würden.

Diese Schatten aber, so fährt Plato fort, hielten die Menschen für die Wirklichkeit. So seien sie eigentlich doppelt betrogen.

Copyright 1997 by Richard A. Kille