Nachhaltigkeit wird zum Qualitätsmaßstab im Handwerk
Wer bei Nachhaltigkeit zuerst an Normismus und Zertifizierungswahn denkt und hinter jedem weiteren Produktlabel Geldschneiderei vermutet, ist im Handwerk nicht allein. Forsche Nachhaltigkeits-Parolen aus den Marketingabteilungen der Industrie sorgen bei Verkäufern und Verarbeitern eher für Magengrimmen statt für Glücksgefühle. Auch der inflationärer Gebrauch des Wortes an sich und der Wildwuchs an Qualitätslabeln und Umweltzertifikaten werden von vielen als Klotz am Bein des Handwerks empfunden. Wirkliche Vorteile sehen die wenigsten in den neuen „nachhaltigen“ Errungenschaften.
Erhalten statt Wegwerfen
Das mag vielleicht daran liegen, dass Nachhaltigkeit im Handwerk eben keine Marketingerfindung des 21. Jahrhunderts ist, sondern schon immer gelebte Praxis. Denn das Selbstverständnis des Handwerks ist durch Nachhaltigkeit geprägt: Das Handwerk baut vielfach auf regionale Produktionsfaktoren und stellt in besonderer Weise die regionale Versorgung mit Waren und Dienstleistungen sicher. Als bedeutender Wirtschaftsbereich spielt das Handwerk also für die Aufrechterhaltung regionaler Wertschöpfungskreisläufe eine große Rolle.
Auch die Diskussion um die Abkehr von schnelllebigen Massenprodukten hin zu langlebigen und reparierbaren Gebrauchsgütern lenkt den Blick auf das Potenzial und die Handlungsmöglichkeit des Handwerks: Manufaktur statt Massenware! Güter, die in Handarbeit hergestellt werden, besitzen eine größere Individualität und häufig auch einen künstlerischen Wert.
Sie leisten einen Beitrag für eine Kultur des Be- und Erhaltens statt des Wegschmeißens. Die zeigt sich beispielsweise an hochwertigen Einzelstücken wie Möbeln oder Parkettverlegungen, die häufig über Generationen hinweg vererbt werden. In diesem Metier ist die Grenze zwischen Handwerk und Kunst nicht immer klar zu ziehen, was auch der Begriff „Kunsthandwerk“ verdeutlicht.
Nicht zuletzt haben Handwerksunternehmen durch ihre ausbildungspolitische Bedeutung großen Einfluss auf die Schaffung von qualifizierten Fachkräften und die Weitergabe von Wissen.
Ökonomie und Ökologie
Das Handwerk stützt sich seit jeher auf die drei Säulen der Nachhaltigkeit – Ökonomie, Ökologie und soziale Gerechtigkeit: Dem Anspruch, Beschäftigung, betriebswirtschaftlichen Erfolg und Umweltverträglichkeit miteinander zu verbinden, kommt es in vorbildlicher Weise nach.
Der Einsatz umweltfreundlicher Technologien, die Verminderung der CO2-Emissionen durch Energieeinsparung und die Nutzung erneuerbarer Energien, die Erhöhung der Ressourceneffizienz durch technologische Innovationen, die Schließung von Stoffkreisläufen (Recycling und Herstellung recyclinggerechter Produkte) und die Vermeidung umweltgefährdender Rohstoffe, Hilfs- und Betriebsmittel gehören vielerorts zum Status quo eines modernen Handwerksbetriebes.
Zudem entspricht die Herstellung reparaturfreundlicher langlebiger Produkte, die von mehreren Personen gleichzeitig oder nacheinander genutzt werden können, den Idealen der Nachhaltigkeit. Auch die Ausrichtung der Wirtschaftsbeziehungen an regionale Kreisläufe, die Nutzung von Ressourcen aus der Region sowie die Herstellung von Produkten für die Region hat Symbolcharakter.
Letztlich ist das Handwerk gleichzeitig auch Multiplikator des Nachhaltigkeitsgedankens: Es informiert seine Kunden über Möglichkeiten des Umweltschutzes und energiesparende Technologien und kann damit das Umweltbewusstsein erhöhen.
Kundennähe eröffnet mit dem Angebot der Wartung und Reparatur von Produkten und Dienstleistungen auch weitere Chancen, zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise beizutragen. Eine dadurch erreichbare starke Kundenbindung lässt den Handwerksbetrieb stets am Ohr des Verbrauchers sein. Die eigene Entwicklung umweltgerechter Produkte oder die Schaffung und Besetzung neuer Märkte mit ökologisch orientierten Produkten gibt Impulse in die Industrie, die eine entsprechende Nachfrage mit passenden Zulieferprodukten abdecken muss.
Überlebens- und Wachstumschancen
Im Sinne der Nachhaltigkeit liegen Überlebens- und Wachstumschancen des Handwerks am ehesten in der Verbindung von Tradition und Innovation. Dabei kommt dem Handwerk – im besonderen Maße auch den Bauhandwerken – der aktuelle Bewusstseinswandel der Bevölkerung mit zunehmender Individualisierung sowie höherem Umwelt- und Qualitätsbewusstsein zu Gute. Dieser führt dazu, dass die Nachfrage nach handwerklichen, individuell zugeschnittenen und qualitativ hochwertigen Einzelstücken steigt.
Trotz dieser positiven Faktoren ist zu beobachten, dass viele Handwerksbetriebe oft passiv mit dem Thema umgehen. Erforderlich wären vielerorts eine entsprechende Weiterbildung und Qualifizierung sowie ein funktionierender Technologietransfer durch die gesamte Wertschöpfungskette.
Diesen bieten wir Ihnen mit dem Boden-Profi: Ausgabe für Ausgabe erhalten Sie Tipps, wie Sie sich in Ihrem Handwerk profilieren können, Ihr Wissen erweitern und vor Fehlern bewahrt bleiben. Nutzen Sie dieses Know-how und die Chancen, die Ihnen der Markt bietet zu Ihrem ganz persönlichen und hoffentlich „nachhaltigen“ Erfolg.
Zukunftsforum Handwerk
Das „Zukunftsforum Handwerk in Bayern“ – bereits 2007 vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie ins Leben gerufen – gibt in einem Abschlussbericht interessante Anregung zur Ausgestaltung eines modernen Handwerkbetriebs. In gut lesbarer Form werden etliche Thesen aufgestellt, die Möglichkeiten aufzeigen, sich den Anforderungen der Zukunft im Handwerk zu stellen.
So heißt es unter anderem:
• Neuen Produkten und Anwendungsmöglichkeiten offen gegenüberstehen
• Mehr auf das Know-how der Mitarbeiter bauen
• Sich der eigenen Stärken und Schwächen bewusst werden
• Sich die Zielgruppen genauer ansehen
• Kooperationen eingehen und Netzwerke aufbauen
• Mehr Wert auf kaufmännisches Wissen legen
Der Bericht von Andreas Conrad Schempp steht zum freien Download bereit unter http://www.lfi-muenchen.de/publikationen/Zukunftsforum.pdf