Nahtabzeichnungen klein gemusterter Tuftings sind warentypisch
Der bange Moment eines jeden Bodenlegers: Die Naht eines klein gemusterten Tuftingteppichs ist geschnitten und wird eingelegt – zeichnet sich die Naht optisch ab oder liegt sie perfekt? Bildet sich ein so genannter Reißverschlusseffekt, sind Probleme bei der Abnahme zumeist vorprogrammiert, auch wenn den Bodenleger fachlich keine Schuld trifft.
Der Reklamationsfall
In einem Ladenlokal werden die Nähte eines verlegten Teppichbodens beanstandet. Sie sollen sich deutlich abzeichnen und das Erscheinungsbild der gesamten Bodenbelagfläche erheblich stören und das bereits unmittelbar nach der Fertigstellung.
Die Überprüfung vor Ort bestätigt den Sachverhalt: Im Nahtverlauf aneinander grenzender Teppichbodenbahnen zeigen sich abschnittsweise Konzentrationen von hellen oder dunklen Schmuckfarben, die die Naht optisch deutlich betonen.
Auf begrenztem Nennmaß sind somit einerseits helle und andererseits dunkle Streifenbildungen erkennbar. Aber auch Kombinationen im Farbwechsel sind vorhanden – der klassische Reißverschlusseffekt.
Da sich dieses Erscheinungsbild nicht nur auf die dicht gestoßenen Nahtkanten bezieht, sondern auch auf Trennschnitte im Bereich von Pfeilern, ist die Ursache nicht in der Ausführung, sondern in der Warenkonstruktion beziehungsweise Musterung zu suchen.
Die Ursache
Erscheinungsbilder dieser Art treten häufig bei klein gemusterten Tufting-Teppichböden auf, die im so genannten cross-over-loop-System (COL) getuftet und infolgedessen gemustert sind. Die Folge ist, dass über die gesamte Warenbreite gehend die Schlingenpolreihen nicht geradlinig nebeneinander laufen, sondern in fortlaufender Reihenfolge jeweils zur Hälfte versetzt ineinander fassen. Einerseits besteht so die Möglichkeit, bei verschieden farbigen Polgarnen eine bestimmte Musterung zu bewirken, und andererseits erscheint optisch eine schlingenartige Polschicht dichter.
Ein Schnitt in Längsrichtung der Teppichbodenkonstruktion hat zur Folge, dass je nach Schnittführung einerseits dunkle Schlingenpolnoppen und andererseits helle Schlingenpolnoppen entlang der Schnittkante nicht mehr mustergerecht nebeneinander zu liegen kommen. Zwangsläufig entsteht so eine helle Streifenbildung (wenn sich die dunklen Schlingenpolnoppen konzentrieren) oder umgekehrt eine dunkle Streifenbildung (wenn die hellen Schlingenpolnoppen dominieren).
Dieses Erscheinungsbild ist unabhängig davon, ob es sich um Schnittkanten entlang der Bahnenränder handelt oder um einen Längsschnitt durch die Teppichbodenkonstruktion, der später wieder innerhalb der Fläche zusammengesetzt wird (Trennschnitt). Voraussetzung ist allerdings, dass bei der Verarbeitung der Nähte keine handwerklichen Fehler gemacht wurden, wie beispielsweise ein Doppelschnitt. Grundsätzlich sind Bahnenränder Kante für Kante zu beschneiden.
Im vorliegenden Reklamationsfall wird der Reißverschlusseffekt jedoch von einem anderen Faktor begünstigt: Durch eine ungenügend feste Einbindung der Schlingenpolnoppen fallen diese bereits beim Anschnitt oder spätestens bei der Frequentierung der fertig verlegten Fläche heraus. Optisch entsteht somit ein nahezu identisches Erscheinungsbild wie beim klassischen Reißverschlusseffekt, je nach Schmuckfarbenkonzentration ist ein heller oder dunkler Streifen sichtbar. Der optische Gesamteindruck, vor allem im direkten Blickfeld einer repräsentativen Fläche, muss in diesem Fall vom Auftraggeber nicht hingenommen werden.
Warentypische Eigenschaft
Die Bildung von Reißverschlusseffekten bei COL-, aber auch COC-Qualitäten (cross-over-loop, cross-over-cut) ist zweifelsfrei auf die spezielle Teppichbodenkonstruktion zurückzuführen und somit als warentypische Eigenschaften anzusehen. Vorausgesetzt, die Warenkonstruktion ist einwandfrei.
Da konstruktionsbedingt angeschnittene Schlingenpolnoppen von COL-Qualitäten auch bei einwandfreier Herstellung des Teppichbodens zum Ausfall neigen, ist eine besondere Nahtbearbeitung notwendig.
Es ist empfehlenswert, nach dem fachgerechten Abschneiden der Bahnenränder die Kante zu prüfen, um festzustellen, ob eine zusätzliche Nahtkantenverfestigung notwendig ist. Auch in den Erläuterungen zur DIN 18 365 wird beschrieben, dass Teppichbodenkonstruktionen mit schlingenartiger Polschicht bei der „Anpassung an Bodendeckel“ mit Klarsichtleim dauerhaft zu fixieren sind, um das Herausziehen oder Ausfransen an den Schnittkanten zu verhindern.
Hersteller textiler Bodenbelägen sollten insbesondere bei Tufting-Teppichböden, die im COL- oder COC-Verfahren hergestellt werden, die gelieferte Ware mit „Beipackzetteln“ ausstatten, die klar und deutlich besondere Gegebenheiten zur Nahtkantenbearbeitung und zum Reißverschlusseffekt beinhalten.
Fehlen derartige Hinweise, wird es zwangsläufig vereinzelt zu Beanstandungen kommen, die unnötigerweise zu Streitigkeiten, insbesondere zwischen dem Bodenleger und dem Lieferanten des Teppichbodens führen. Es kann auch nicht verlangt werden, dass der Bodenleger erst umfangreiche und zeitaufwändige Versuche durchführen muss, um besondere Merkmale der gelieferten Teppichbodenkonstruktion herauszufinden.
Fazit
Tufting-Teppichböden, die im COL- oder COC-Verfahren hergestellt werden, zeigen sich bei der Nahtkantenherstellung im Hinblick auf die Ausführung problematisch. Eine produktbezogene Verlegeempfehlung ist demnach, insbesondere im Hinblick auf den Nahtschnitt, von besonderer Bedeutung ebenso wie die Beachtung der Ausführungen in den Erläuterungen zur DIN 18 365. Im Umgang mit dem Auftraggeber muss der Hinweis gegeben werden, dass Nähte von COL- oder COC-Qualitäten optisch nicht grundsätzlich so gefertigt werden können, dass diese „unsichtbar“ sind.
Der Kunde muss darüber aufgeklärt werden, dass damit zu rechnen ist, dass zumindest streckenweise Reißverschlusseffekte entstehen können. Als Argumentationshilfe und zur Veranschaulichung empfiehlt sich die Demonstration eines Handmusters.